Die Hohenburg

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Tief im Brunnen - die weiße Frau von Homberg

Wer den Weg aus der Altstadt auf den Burgberg hinauf leicht verschwitzt und heftig atmend hinter sich gebracht hat, zunächst an der Gaststätte vorbei über die Holzbrücke das Burgtor durchschreitet, findet rechts den Eingang zum Brunnenhaus. Zuerst fallen die beiden Zisternen auf, in denen das Regenwasser gesammelt wurde. Eine ist noch gut erhalten, eine nut- und Federkonstruktion, gehauen aus Tuffstein. von der anderen ist nur die Bodenplatte erhalten. 33.000 Liter Wasser wurden hier gesammelt, aufgefangen von den Dächern des oberhalb stehenden Palasgebäudes.

Links von ihnen ist der Mauerring des alten Burgbrunnens zu sehen. Wasser gab es hier lang nicht zu sehen, der Brunnen war voll von Steinen. Ein enges Gitter schützt den Brunnen - dann geht der Blick hinab in die Tiefe. Auch in die Tiefe der Phantasien und Geschichten. Was ist eine Burg ohne Geschichten, ohne Sagen, was eine Burg ohne Brunnen?

Der Brunnen ist einer der tiefsten Burgbrunnen Deutschlands. 174 Meter sind es bis in die Tiefe des Tales, wo - von hier oben fast unsichtbar hinter Baumreihen und Büschen verborgen - noch ein Stück tiefer gelegen als die Stadt, die Efze fließt. Fast bis dort unten, bis auf das Niveau des kleinen Baches mussten die Brunnenbauer den Fels weghauen, erst nach 150 Metern stießen sie endlich auf das schon längst erhoffte Wasser. Fast unvorstellbar diese Tiefe. Wer soll diesen mühsam gegrabenen Schacht wieder Meter für Meter bis hinauf zur Burg mit Steinen verfüllt haben?

Was erzählt die Sage über die Burg und den Brunnen? Eine Geschichte von Krieg und Grauen, eine Geschichte von Verrat. Schon viele Regimenter waren im Dreißigjährigen Krieg durch die Stadt am Berge gezogen und hatten Verwüstung und Elend hinterlassen. 1636 schließlich nahte das große kaiserliche Heer unter Reichsgraf Götz, nahm die von den restlichen Bewohnern fluchtartig verlassene Stadt ein und wollte auch die hoch über Homberg gelegene landgräfliche Burg erstürmen. Aber die Mauern waren unüberwindlich und die Besatzung wehrte sich tapfer, schlug die Angreifer immer wieder zurück. Doch wie sollte es anders sein, was mit der Gewalt der Waffen nicht gelang, die Gier des Menschen sollte die angreifenden Kaiserlichen zum Ziel führen. Wie viel Münzen brauchte es, um den Türmer einer übervölkerten, zerschossenen Burg - der halb verhungert immer wieder die Stufen zu seinem Ausguck hinaufsteigt, vorbei an den misstrauischen Augen seiner Magd, die die Veränderung in seinen Augen bemerkt, seinen verschlagener werdenden Blick - davon zu überzeugen, dass ein Leben mit gebratenem Fleisch und frischen Wein statt fauligem Wasser möglich ist? Nur kurz muss er die Augen geschlossen halten, die Trompete beiseite legen und Stadt und Burgbesatzung nicht vor den im Schutz der Nacht anstürmenden Truppen warnen. Hat er genug für einen sorglosen Monat bekommen oder war er schon so heruntergekommen und ausgehungert, dass die Aussicht auf ein einziges ausreichendes Mahl genügte?

Die Feinde nahen, schleichen immer näher an die sturmreif geschossene Burg heran und der Türmer steht hoch oben, lehnt mit geschlossenen Augen an den rauen Steinen seines Turms und träumt unter dem blassen Licht des hinter leichten Wolken verborgen Mondes vom baldigen Ende seines Martyriums auf der belagerten Burg. Die Feinde werden ihm den Verrat danken. Wie Ameisen kriechen sie auf den Berg hinauf. Unter ihm lagern die erschöpften und zerlumpten Verteidiger auf der Erde, in einer Ecke neben seinem Turm haben sie die Leichen der Männer, Frauen und Kinder aufgestapelt, die nach den Angriffen der letzten Tage auf den Mauern zurückgeblieben sind. Wie viele seiner Freunde liegen dort? Der Geruch der Leichen dringt trotz des Nachtwindes bis zu ihm herauf, angewidert dreht er den Kopf in die andere Richtung. Wenn dies nur endlich ein Ende hätte. Er hat nicht vor, ebenfalls unterhalb des Turms aufgeschichtet zu werden. Wie ihn die Magd angesehen hat - ob sie etwas ahnt? Hat sie die Stunden vergessen, die sie im Schutz der dicken Mauern miteinander verbrachten? Ist er ihr nicht mehr gut genug, seit sie sich mit dem jungen Soldaten eingelassen hat, der alles zur Verteidigung von Stadt und Burg geben will, sogar sein Leben? Was weiß der vom Leben? Was weiß der vom Tod? Gut, dass alles bald vorüber ist. Sie sind ihm alle egal, die Ameisen, die den Berg herauf kriechen, die Mauer fast erreicht haben, die unruhig Schlafenden dort unter ihm.

Hat die Magd ihm die finstere Absicht angesehen? Kennt sie seine Gedanken und ist ihm nachgeschlichen, sieht ihn nun dort oben mit geschlossenen Augen an die kalte, feuchte Mauer gedrückt, sieht die unzähligen Feinde, die sich ihrem Ziel Meter für Meter nähern? Auf jeden Fall greift sie das auf dem Boden liegende Instrument, nimmt es an die Lippen, weiß nicht, wie sie einen Ton erzeugen soll und stößt einfach in panischer Angst vor den Feinden und dem Wissen um das, was besonders den Frauen droht, heftig die letzte Luft aus ihren Lungen in das Metall. Mehr als einen schwachen, kläglichen Ton kann sie ihm nicht entlocken. Doch er reicht aus, die unruhigen, jungen Soldaten aus ihrem Alptraum zu wecken, sie zurückzuschicken in den realen Alptraum dieser Kriegsnacht. Sie springen auf, erschlagen die ersten Feinde, die die Bresche in der Mauer erklommen haben, spießen sie auf, werfen sie mitsamt ihren Leitern herab, wo sie mit zerschmetterten, verdrehten Gliedern liegen bleiben. Ein letztes Mal wird der Angriff zurückgeschlagen, die Feinde verziehen sich, lassen Stadt und Burg eine Atempause. Sie währt nicht lange.

Noch in der Nacht greift sich der rasend wütende Türmer die Magd, die ihn um sein Geld und seinen Traum vom Ende dieser Schlacht gebracht hat und wirft sie in höchster Rage in den tiefen Burgbrunnen, in dem sie mit einen schrecklichen Schrei, der für kurze Zeit alles grausame Dröhnen der Schlacht übertönt, für immer verschwindet. Für immer? Nein, ihr Tod ist zu grausam, sie kann nicht ruhen und erscheint wieder alle sieben Jahre am Tag des Verrats. Sie wandelt als weiße Frau im sanften Licht des Mondes auf den Mauern der Burg hoch oben über der Stadt Homberg - zur Schande und zum Schrecken aller Verräter, die keinen ruhigen Schlaf mehr finden und keinen Frieden.

Lag sie noch dort unten, 150 Meter in der Tiefe, dort wo drei Meter hoch das Wasser steht, das durch ihre Leiche verdorben wurde? Wurden ihre Gebeine später geborgen, um den Brunnen wieder nutzbar zu machen? Eine Sage - Raum für Phantasien.

Tatsächlich wurde die Burg Mitte Juli 1636 durch den kaiserlichen General Johann von Götz angegriffen. Vom Burgplateau aus ist westlich von der Stadt der Stellberg mit dem Stadion zu sehen. Auf dem Stellberg waren die 16 schweren Geschütze des Marschalls aufgestellt, der mit 13.000 Mann die Burg belagerte. Hinter ihren Mauern hatten auf engstem Raum 3.000 Bürger und Bürgerinnen Hombergs Schutz gesucht, andere waren in die Wälder geflohen. Was mag in den vom Krieg gezeichneten, verängstigten, dicht gedrängt lagernden Menschen vorgegangen sein, als Götz innerhalb von nur sechs Stunden die Burg mit über 600 Schuss aus seinen Kanonen sturmreif schießen ließ? Die Mauern hielten dem Feuer nicht stand. Trotzdem gelang es den anstürmenden Truppen nicht, die Bresche zu erklimmen und die Burg zu besetzen, sie wurden zurückgeschlagen, zogen ab Richtung Lützelwig.

Nur ein paar Tage später stürzte in all dem Gewimmel hungriger und durstiger Flüchtlinge im Burgbezirk eine Frau in den Burgbrunnen, 150 Meter in die Tiefe, wurde von den rauen, engen Felsen zerrissen und zerschlagen, so dass man nicht mehr alle Leichenteile bergen konnte. Der Brunnen war verseucht. Etliche Menschen starben, weil sie halb irre von ihrem großen Durst, das vergiftete Wasser tranken. Einige Tage gelang es den Verteidigern der Burg, im Schutz der Nacht unter großen Mühen Wasser aus dem unterhalb der Burg gelegenen Hausbrunnen zu holen, dann wurde die Feinde aufmerksam, vergifteten auch die anderen Brunnen mit totem Vieh und warteten geduldig, bis die fast verdurstete Besatzung ihnen die Burg übergab. Was dann mit den Menschen geschah, ist nicht mehr Stoff von Sagen und Heldengeschichten. Es ist das normale Entsetzen der Kriege, damals nicht anders als heute.

1657 wurde der ab 1605 von acht thüringischen Bergleuten in Zweimannschichten rund um die Uhr innerhalb von acht Jahren gegrabene Brunnen zugeschüttet. Und 340 Jahre später wurden diese Steine wieder Stück für Stück, Schicht für Schicht in mühsamer Handarbeit aus dem Brunnen geholt.

Wären die Steine nicht besser dort geblieben, hätten sie nicht das Geheimnis des Brunnens, den Blick in die Tiefe für immer versiegeln sollen? Die Denkmalpflege hat dies gefordert, war lange mit der Freilegung des Brunnens nicht einverstanden. Oder wollte man nur die Totenruhe der weißen Frau wahren, fürchtete man gar die Wiedergängerin?

Die Steine sind raus aus dem Brunnen. Wer jetzt den Weg aus der Altstadt herauf auf den Burgberg leicht verschwitzt und heftig atmend hinter sich gebracht hat, kann sich über die Mauer beugen, hinabschauen in die geheimnisvolle Dunkelheit, warten bis das Licht hell genug ist, um die Tiefe auszuleuchten, kann später bei einer Tasse Kaffee in der Burggaststätte an die harte Arbeit der Bergleute denken, die eine Woche brauchten, um einen Meter Säulenbasalt abzutragen, an die 3.000 Homberger, die hier verzweifelt Zuflucht vor den Schrecken des Krieges gesucht und nicht gefunden haben, die abhängig waren vom Wasser aus der Tiefe. Vielleicht auch an den verräterischen Türmer und die weiße Frau, die alle sieben Jahre auf den Mauern erscheint und den Schlaf der friedlichen Menschen in der Stadt dort unterhalb der Burg bewacht. Viel Raum für Phantasien und Geschichten.

Klaus Bölling