Textauszug aus Klaus Bölling, Novaks Tango - ein Thriller mit Jacques Novak & Kirsten de Savigny

Die Nacht war dunkel, feucht und kalt. Sie verhieß nichts Gutes. Den Weg nach Buchrode kannte er bereits. In dieser Nacht der Entscheidung fand er ihn noch unheimlicher als bei den letzten Ausflügen. Die Kurven im Wald waren glitschig, er mußte vorsichtig fahren. Kurz vor Buchrode hatte sein Alptraum einen neuen Höhepunkt - zu allem Übel wurde es hier wieder sehr neblig. Viel zu sehen war nicht, er mußte sich am Mittelstreifen der Fahrbahn orientieren. Es war deutlich kälter als im Tal, die Bäume am Straßenrand waren weiß mit Reif überzogen. Bei Sonnenschein gaben sie sicher hervorragende Winterfotomotive ab. Jetzt waren die bleichen Baumskelette nur unheimlich. Genau wußte Novak nicht, wo er war. Jedenfalls mußte bald die Abzweigung zum Hof kommen. Oder war er schon vorbeigefahren? Die Straße führte noch ein Stück bergauf. Hier wurde der Nebel zum Glück etwas lichter. Novak konnte wieder mehrere Begrenzungspfähle am Straßenrand auf einmal sehen. Nach ein paar hundert Metern sah er den Feldweg zum Gutshof. Er schaltete das Licht aus und wartete ein paar Minuten, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Dann fuhr er vorsichtig in den Weg hinein. Er fuhr langsam und versuchte, laute Motorengeräusche zu vermeiden. Ob die Wachen aufgestellt hatten wie in den schlechten Kriegsfilmen? Noch war der Hof etwas entfernt und Novak konnte nichts sehen. Die Dunkelheit war undurchdringlich. Einen abzweigenden Weg, der hinauf zum Wald führte, nutzte er zum Abstellen seines Fahrzeugs. Weiterzufahren hatte keinen Sinn. Über Funk wollte er sich jetzt auch nicht mehr melden, immerhin hatte er es mit Profis zu tun, für die das Abhören des Polizeifunks die leichteste Übung war. Kurz öffnete er die Tür und ließ sie sofort wieder leise ins Schloß fallen. Die aufblitzende Innenbeleuchtung erschien ihm wie ein Leuchtfeuer in der Dunkelheit. Weit konnte es durch diesen Nebel allerdings nicht dringen. Novak stellte sich neben sein Auto und lauschte in die Dunkelheit. Außer dem Rauschen des nahen Waldes und einem vorbeifahrenden Auto auf der Buchroder Straße konnte er nichts hören. Dafür drang die Kälte sofort durch jede Ritze seiner Kleidung. Er hätte doch die dicken Wollsocken anziehen sollen. Er atmete tief durch, die weiße Fahne seines Atems mischte sich mit dem Nebel, und er hatte Mühe, das Klappern seiner Zähne zu unterdrücken. Von der Kälte allein konnte es nicht kommen. Novak war angespannt und nervös. Er versuchte, sich an den Weg zum Hof zu erinnern. Nach circa fünfhundert Metern ging der Fahrweg leicht bergab. Vorsichtig tastete er sich am Wegrand entlang und versuchte, mit angestrengten Augen die Dunkelheit und den Nebel zu durchdringen. Sehr weit reichten seine Augen allerdings nicht. Ständig rechnete er damit, daß plötzlich eine Person vor ihm aus dem Schatten tauchte. Die Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt, er hatte das Gefühl, der Körper werde langsam mit Adrenalin überschwemmt. Dabei war doch alles mucksmäuschenstill, eine friedliche Nacht. Eine Alptraumnacht.

Ein schriller Schrei zerriß die unheimliche Stille. Eine Frauenstimme, er konnte nicht genau orten, woher sie kam. Aber sie war schrecklich, gefüllt mit Angst und Entsetzen. Danach waren aufgeregte Männerstimmen zu hören. Das Gut mußte direkt vor ihm liegen. Instinktiv war Novak am Wegrand in Deckung gegangen. Auf dem Hof, den er noch immer nicht sehen konnte, ging etwas vor. Er konnte nicht hier im Gebüsch bleiben, mußte bis zur Mauer des Anwesens vordringen. Wieder ein gellender Schrei - grausam klang er in der undurchdringlichen Dunkelheit. Einen solchen Schrei hatte Novak bisher noch nicht gehört, hatte sich wenig darunter vorstellen können, wenn es hieß, jemand habe vor Todesangst geschrien. Jetzt wußte er es und würde es niemals wieder vergessen. Es war wie in seinen eigenen Alptraum. Er fühlte sich mitten hinein versetzt - diesmal allerdings ohne die Chance des Erwachens zur rechten Zeit. Nachdem der Schrei verstummt war, riefen zornige Männerstimmen. Jetzt hatte er keine Zeit mehr zu verlieren, durfte nicht zu lange nachdenken. Was sollte er allein tun? Er verließ seine Deckung und rannte die letzten Meter zur Mauer mit gezogener Waffe. Das Hoftor war geschlossen. Novak ging nahe dem Tor wieder in Deckung. Wenn er überhaupt eine Chance gegen diese Übermacht hatte, dann lag sie in der Überraschung. Das Gut war von einer mannshohen Mauer umfaßt und hatte einen richtigen Torbogen mit einen neuen, stabilen Holztor. Das war ihm bei ihrem Besuch gleich aufgefallen. Es würde schwer sein, hier unbemerkt einzudringen. Novak schlich bis zur Mauer und duckte sich hinter einen Busch. Über dem Hof lag ein blasser Lichtschimmer, und er hörte verschiedene Stimmen. Sie waren jetzt wieder leiser. Er konnte mehrere Männerstimmen und den befehlenden Ton einer Frau unterscheiden. Es erinnerte ihn an die Chefin von Greifstein. In seinem Alptraum stand sie im Hintergrund und gab die schrecklichen Befehle. Zum Glück hockte er diesmal vor der Mauer und war noch nicht entdeckt worden. Die Mauer war an dieser Stelle zu hoch, um auf das Gelände blicken zu können. Novak überlegte, wann ihm zuletzt ein Klimmzug gelungen war. Mußte lang her sein. Beim Fitneßtraining endeten seine Versuche meist sehr kläglich. Und nirgends war ein Stuhl oder eine Leiter zu sehen. Nicht einmal ein großer Stein lag in der Nähe. Während er grübelte, erklang wieder der Schrei - direkt hinter der Mauer und noch verzweifelter und schrecklicher als zuvor. Gleich darauf brüllte eine brutale Männerstimme.

"Ich habe die Sau, los, bleib stehen, jetzt bist du fällig. Kommt her, wir machen sie fertig."

Novak hatte gar keine Wahl. Er legte die Hände auf die Mauerkrone, mobilisierte seine gesamte Kraft und versuchte, mit den Füßen Halt an den Steinen der Mauer zu finden. Nur mühsam schaffte er es, zog sich hoch und lehnte sich mit dem Oberkörper über die Mauer. Vorsichtig hob er den Kopf und versuchte zu erkennen, was auf dem Hof los war. In der Nähe des erleuchteten Eingangs zum Haus erkannte er mehrere Personen. Die Mauer lag im Schatten, bisher hatte ihn niemand bemerkt. Ziemlich ungeschickt und mit aller Kraft hievte er die Beine auf die Mauer und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Er kauerte sich hin und holte tief Luft. Sein Herz raste nicht nur von der Anstrengung. Von der Mauer ließ er sich vorsichtig auf den Hof hinuntergleiten. Noch immer blieb er unentdeckt. Die Leute waren mit etwas anderem beschäftigt. Er konnte noch nicht erkennen, was vor dem Hauptgebäude los war und bewegte sich schnell und vorsichtig über das freie Hofstück hinüber zur Scheunenwand, wo er hinter einem Stahlfaß Deckung fand. Einen Schrei hatte er nicht mehr gehört, dafür aber lautes, ängstliches Wimmern.

Vor dem Gebäude bewegten sich mehrere schwarz gekleidete Personen. Es war wie in seinem schlimmen Traum. Nur befand sich zwischen den Männern an seiner Stelle ein völlig verängstigtes Mädchen mit Stoppelhaaren. Novak hatte Denise gefunden, sie mußte es sein. Und sie war es, die jetzt wimmerte und vorher so gräßlich geschrien hatte. Ihre Lage war auch alles andere als erfreulich. Die Typen waren mit Kuhketten und Baseballschlägern bewaffnet. Sie bildeten einen Kreis um das Mädchen, den sie immer enger zogen. Mit den Ketten schlugen sie nach ihr. Denise hatte keine Kraft mehr zu schreien, sie versuchte, ihr Gesicht gegen die Schläge zu schützen. Einer der Typen trat ihr die Füße weg, sie fiel auf den Boden und blieb dort zusammengekauert liegen. Die alte Schlüter stand wie eine Hexe in der Tür. Scheinbar fand sie großen Gefallen an der Szene, ihr Lachen klang noch schriller als in seinem Traum.

"Los, steh auf, du elende Verräterin, stell dich deiner Strafe aufrecht, wie es sich für eine Deutsche gehört. Aber du bist ja nur Abschaum, verrotteter, stinkender Abschaum. Unwürdig für unsere Bewegung. Solche Schmarotzer wie dich können wir gar nicht gebrauchen, von solchen werden wir das deutsche Volk gründlich befreien. Wolltest wohl ganz schlau sein und hier abhauen, was? Solche wie dich lassen wir nicht mehr los. Mit Verrätern machen wir hier kurzen Prozeß. Und dein Urteil lautet schuldig."

Damit drehte sie sich auf dem Absatz herum und verschwand im Haus. Die Männer traten mit ihren schweren Stiefeln nach dem Mädchen, schlugen sie mit den Ketten und Knüppeln. Lange würde sie das nicht überleben können. Novak konnte nicht auf die Verstärkung warten. Wenn sie überhaupt kam, was er nur hoffen konnte. Für Denise und für sich. Einer der Schwarzgekleideten zog einen Revolver und zielte auf Denise. Novak hatte keine Wahl mehr. Er entsicherte seine Waffe, atmete tief ein, um das Zittern zu unterdrücken und zielte auf den Bewaffneten.

"Achtung, Waffe sofort fallen lassen, Polizei."

Die Gruppe erstarrte kurz. Novak sah, wie der andere den Revolver in aller Seelenruhe entsichern wollte und drückte augenblicklich ab. Der Schuß war furchtbar laut und endgültig. Novak hoffte, nur die Beine, auf die er gezielt hatte, getroffen zu haben. Der Mann stürzte um, ließ seine Waffe fallen.

"Keine weitere Bewegung, alle Hände gehen hoch, und dann will ich Gesichter sehen. Ich habe schon den nächsten im Visier."

Sein Treffer hatte die drei verbliebenen Männer von seinen ernsten Absichten überzeugt. Es hätte auch schiefgehen können. Zunächst hatte er etwas Zeit gewonnen. Seine Hand war ganz ruhig gewesen, jetzt begann wieder das Flattern. Er durfte sich keine Schwäche leisten, mußte durchhalten und notfalls allein die Chefin und ihre Schergen außer Gefecht setzen.

"So. Und nun bewegen sich die Herrschaften schön langsam mit erhobenen Händen zur Hauswand. Jede falsche Bewegung wird mit einen weiteren Freischuß belohnt."

Immer cool bleiben, keine Schwäche zeigen, darauf warteten die doch nur, darauf waren sie trainiert. Novak merkte, wie die drei lauerten. Aber noch hatte er sich nicht gezeigt und war in seiner Deckung geblieben. Das wollte er zunächst auch beibehalten. Der am Boden Liegende bewegte sich kaum, aber er stöhnte. Seine Waffe lag einige Meter von ihm entfernt. Novak versuchte seine gesamte Konzentration aufzubieten und das Geschehen im Blick zu halten. An der Haustür tat sich noch nichts. Die Dame war der Unsicherheitsfaktor, sie hatte sich noch nicht gezeigt und lauerte sicher hinter einem der Fenster. Er durfte keinesfalls in ihr Schußfeld geraten. Die drei noch recht jungen Leute bewegten sich brav zur Hauswand. Momentan hatte Novak die Macht - und das wollte er nutzen.

"So, jetzt stellt ihr euch schön nebeneinander und legt die Patschhändchen ganz hoch an die Wand. Dann werden die Beine gespreizt. Und vor allem nicht vergessen: jeder Schuß ist ein Treffer."

"Schönen guten Abend, Herr Kommissar."

Novak war zu Tode erschrocken. Der kalte Lauf einer Waffe bohrte sich durch seinen Schal an den Hals. Es war die eiskalte Stimme von Frau Schlüter. Er hatte sie unterschätzt, das war sein tödlicher Fehler gewesen. Sicher war sie wesentlich gefährlicher als ihre Schergen, die noch nicht kapiert hatten, daß sich das Blatt zu ihren Gunsten gewendet hatte. Ihr schrilles Lachen klang in seinem Ohr.

"Tja, Bulle, schade, daß du keine Augen im Hinterkopf hast. Werden wir aber bald die Löcher für schaffen. Jetzt ist ein kleiner Szenenwechsel fällig. Los, an die Wand. Und dann weiter wie befohlen. Und die Knarre kriege ich."

Er hatte keine Chance, wußte, sie würde abdrücken, ihm schnell und gnadenlos eine Kugel in den Kopf jagen. Mittlerweile hatten auch die anderen die veränderte Lage gepeilt und sich wieder mit ihren Ketten und Schlägern bewaffnet. Sie kamen näher.

"Wo ist die Göre?"

Die Chefin brüllte die Frage. An Denise hatte Novak gar nicht mehr gedacht. Zu sehen war sie nirgends.

"Josef sucht die Kleine, der Rest entsorgt den Bullen. Ich kümmere mich um Heinrich."

Einer der Jungen hatte den Revolver aufgehoben und zielte damit auf Novak.

"Na, Großschnauze, wo bleiben denn die coolen Sprüche? Jetzt machst du dir die Hosen voll, was? Und denk daran, jeder Schuß ein Treffer."

Er lachte und drückte ab, der Schuß hallte schrecklich in Novaks Ohren. Die Kugel schlug direkt neben seinem Kopf in das Holz der Scheunenwand.

"Los, Großschnauze, bring doch noch mal 'nen Spruch, wir wollen doch alle mal lachen. Fällt dir wohl gar nichts mehr ein, was? Wir werden dich jetzt Dreck fressen lassen. Du Schwein hast Heinrich umgenietet. Das wirst du bitter büßen. Ganz langsam werde ich dich zerschießen und in der Güllegrube versenken. Ganz langsam."

Der andere kam näher.

"Halt's Maul jetzt, wir haben keine Zeit mehr für deine Spielchen. Mach den Sack kalt, wir müssen weg. Wo einer von den ist, kann der Rest nicht weit sein."

Diese Hoffnung hatte Novak aufgegeben. Er war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig, war gefühllos. Was konnte ihm schon passieren - ein Knall, ein Schmerz, aus. Er sah, wie der andere die Pistole anhob, dann zerriß der Schuß die Stille. Wunderbarerweise spürte er den Schmerz nicht, nichts fühlte er. Er stand aufrecht am Scheunentor, hörte noch immer den Hall des Schusses, wartete auf den Schmerz, das Blut.

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