Teil 3

Orkney - Margarets Hoffnung und goldener Heidetorf

Die Fähre kommt, ist ein topmoderner Katamaran und passt so gar nicht in dieses provisorische Hafenambiente. Der Wind fegt heftig über den Pentland Firth, jetzt beginnt der Norden.

Und er beginnt vielver-sprechend: Stroma, die erste kleine Insel an der die Fähre vorbeischippert, gehört noch nicht zu Orkney, sondern zur alten Grafschaft Caithness auf dem Festland. Viele kleine Häuschen sind über die kahle Insel verstreut – alle sind leer, von den Menschen verlassen. Bevölkert wird die Insel nur von den Schafen des Pächters vom Festland. 1901 haben auf Stroma noch ca. 375 Menschen gelebt, in den 1960er Jahren haben sie dann die Insel verlassen. Arbeit fanden sie in der Atomanlage Dounreay auf dem Festland. Ob es wirklich ein kluger Tausch war?

Die nächste kleine Insel gehört bereits zu Orkney: Swona, die Schweine-Insel, abgeleitet von der alten norwegischen Bezeichnung für das Eiland. Dabei gibt es hier überhaupt keine Schweine mehr, sondern eine Rinderherde. Auch hier sind die Rinder die einzigen verbliebenen Bewohner und grasen zwischen leeren Hausruinen. Die Herde wurde 1974 zurückgelassen, als die letzten Bewohner bessere Bedingungen auf Orkney oder dem Festland suchten. Mehrere Generationen später gilt die Herde als eigene Rasse und lebt völlig krankheitsfrei auf der Insel. Einmal im Jahr schaut ein Veterinär nach der Herde. Einfluss wird auf ihre Entwicklung nicht genommen. Ein interessantes Experiment.

swona | pentland firth

das niemandsland
zersiedelt vorübergehender ort
in der diele lagert die verlassene
herde in den unbehausten mauerresten
dann beginnt der norden

aus: Klaus Bölling, heidetorf [violett]

Verlassene Inseln haben ihren besonderen Reiz. Geheimnisvoll und ein bisschen unheimlich sind die Häuser mit den leeren, dunklen Fensterhöhlen. Es gibt viele verlassene Häuser, viele Ruinen, von denen nur noch die dachlosen Wände stehen, in Schottland. Auch auf Orkney sind sie allgegenwärtig.

Rechts die verlassenen Ruinen, links die Gegenwart. Auf der Insel Flotta befindet sich das Terminal für Nordseeöl.

Große Tanks stehen auf der Insel, der Schornstein mit der Gasfackel ist das Symbol für diese Industrie. Mit dem Nordseeöl kam der Wohlstand nach Schottland: Öleinnahmen, Arbeitsplätze, neue Perspektiven. Das Öl erreicht Flotta über eine Pipeline aus verschiedenen Feldern vor der Küste. Hierher kam auch das Öl des Piper-Ölfelds, dessen Plattform Piper Alpha 1988 bei der größten Katastrophe der Offshore Öl- und Gasproduktion explodierte. Die Plattform brannte wochenlang, bevor sie mühsam durch das Team des berühmten Firefighters Red Adair gelöscht werden konnte. 167 Menschen starben.


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Die Fahrt geht hinein nach Scapa Flow, der großen Bucht zwischen den Inseln. St. Margaret's Hope, ein schöner Name für den kleinen Fährhafen auf der Insel South Ronaldsay. Strittig ist noch welcher Margarets Hoffnung die Stadt den Namen verdankt. Da wäre St. Margaret, Queen of Scots, die zwischen 1045 und 1093 lebte und mit dem schottischen König Malcolm III. verheiratet war. Und da wäre noch Margaret, Maid of Norway. 1283 geboren starb die Tochter des norwegischen Königs Eric II., der mit Margaret, der Tochter des schottischen Königs Alexander III. verheiratet war, 1290 - gerade mal acht Jahre alt - auf Orkney, evtl. in der Nähe von St. Margaret's Hope. Regulär wäre sie nach dem Tod von Alexander III. 1286 schottische Königin gewesen. Aber bevor der Streit um die mögliche Thronfolge und eine Hochzeit von Margaret entschieden war, verstarb sie auf dem Weg von Bergen nach Schottland wahrscheinlich an den Folgen der beschwerlichen Schiffspassage über die stürmische See. Sehr hoffnungsvoll ist diese Geschichte allerdings nicht.

St. Margaret's Hope liegt geschützt am Ende einer kleinen Bucht. Eng schmiegen sich die grauen Steinhäuser an den Hang. Über die Insel South Ronaldsay geht es nun nach Kirkwall, der Hauptstadt Orkneys auf der größten Insel Mainland. Die Inseln sind verbunden über die Churchill Barriers, Verbindungsdämme, die im 2. Weltkrieg angelegt wurden. Ihre Aufgabe war nicht die logistische Verknüpfung der wichtigsten Inseln des Archipels, sondern der Schutz des Naturhafens Scapa Flow vor eindringenden U-Booten der deutschen Marine. Vom Landrücken South Ronaldsays hat man einen guten Blick über diese große Bucht zwischen den Inseln South Ronaldsay, Burray und Mainland sowie Flotta und Hoy auf der gegenüberliegenden Seite. Sowohl im ersten als auch im zweiten Weltkrieg war die Bucht Standort und Rückzugsgebiet der britischen Flotte. Die Relikte dieser Zeit sind auch heute noch sichtbar in Form der Verteidigungsstellungen auf den Inseln.

Zwei Geschichten sind es, die Scapa Flow legendär gemacht haben. Die erste ereignet sich im Juni 1919, nach dem ersten Weltkrieg. Die deutsche Kriegsflotte war in Scapa Flow interniert, nach Abschluss der Friedensverhandlungen von Versailles sollte sie an die Alliierten übergeben werden. Um diese aus seiner Sicht endgültige Schmach zu verhindern, ließ der deutsche Kommandant Ludwig von Reuter am 21. Juni 1919 die Seeventile der Schiffe öffnen und versenkte die gesamte deutsche Flotte. Der Zeitpunkt war günstig, die britischen Bewacher waren zum größten Teil zu einem Flottenmanöver auf der Nordsee ausgelaufen. Die meisten der Schiffe wurden in den folgenden Jahren gehoben und das Altmetall verwertet. Einige Wracks liegen aber noch immer auf dem Grund vor der Insel Hoy und sind beliebte Tauchziele.

Auch die zweite Geschichte ist eine Kriegsgeschichte, diesmal aus dem zweiten Weltkrieg. Wieder war Scapa Flow der Heimathafen der britischen Kriegsmarine, schwer geschützt mit den heute noch sichtbaren Verteidigungseinrichtungen. Schwachstellen waren die Wasserstraßen zwischen den einzelnen Inseln. Um ein Eindringen feindlicher Schiffe zu verhindern, waren hier bereits andere Schiffe versenkt worden. Trotzdem gelang es in der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober 1939 dem deutsche U-Boot Kommandanten Günther Prien mit U 47 über den schmalen und flachen Kirk Sound zwischen Mainland und Lamb Holm unbemerkt nach Scapa Flow einzudringen. Er schoss mehrere Torpedos ab, zunächst vergeblich. Aber dann versenkte ein Treffer das große Schlachtschiff HMS Royal Oak. Es explodierte und ging innerhalb weniger Minuten unter. Fast 900 Menschen kamen bei diesem Angriff ums Leben. Prien wurde in Deutschland als Held gefeiert, denn er konnte auf dem gleichen Weg wieder unerkannt aus der Bucht entkommen. Auch das Wrack der Royal Oak liegt noch auf dem Grund von Scapa Flow, hier herrscht aber ein absolutes Tauchverbot.


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In der Folge wurden die Sunde zwischen den Inseln South Ronaldsay, Burray, Glims Holm, Lamb Holm und Mainland mit festen Wällen verschlossen. Die Churchill Barriers wurden von italienischen Kriegsgefangenen errichtet. Die Gefangenen haben nicht nur diese heute so praktischen Verbindungen zwischen den Inseln hinterlassen. Auf Lamb Holm ist die Italian Chapel eine weitere Erinnerung an die Kriegszeit. In einer ihrer damaligen Baracken haben die Gefangenen eine kunstvoll geschmückte Kapelle errichtet. Großartige Wandmalereien, Stuckarbeiten aus Zement und Beton, schmiedeeiserne Gitter - ein Bauwerk, das nicht in die finstere Kriegszeit passt. Der Künstler Domenico Chiocchetti gestaltete die Gemälde. Er blieb nach Kriegende bis zur Fertigstellung seiner Arbeit auf der Insel. 1960 kehrte Chiocchetti zur Renovierung der Italian Chapel zurück.

Die kriegerische Geschichte der Bucht ist schwer vorstellbar, wenn man heute über das in der Abendsonne funkelnde Wasser hinüber zu den markanten Hügeln von Hoy schaut. In Scapa Flow dümpelt ein einziger Tanker, auch die Tage des Nordseeöls neigen sich dem Ende zu, und die Fähre verlässt gerade die Bucht von St. Margaret's Hope zur Fahrt über den Pentland Firth. Jetzt noch ein grasendes Rind im Vordergrund, der Schattenriss einer Farm am Strand und die Idylle ist perfekt.

Gleich neben der Italian Chappel befindet sich die Orkney Wine Company. Wein, hier oben im windigen Norden? Ein niederländisches Ehepaar hatte die Idee. Vergoren werden natürlich keine Trauben, so fortgeschritten ist der Klimawandel zum Glück noch nicht, sondern Beeren, Früchte, Blüten und Kräuter. Das Ganze mit dem Anspruch höchster Qualität. Die interessanten und teuren Erzeugnisse können im Weinladen probiert und gekauft werden. Der Wein ist gut und die Orkney Wine Company erfolgreich - aber eine Flasche Dark Island Bier schmeckt am Abend doch besser.


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Oder ein Dram vom besten Stoff der Insel: Highland Park. Die Highland Park Distillery liegt oberhalb von Kirkwall. Es regnet inzwischen wieder in Strömen, die Stadt liegt verborgen im Dunst, die Wolken sind schwarz, die Mauern der Distillery sind schwarz, aus den Kilns dringt der torfige Qualm der Feuer zur Trocknung des Malzes. Highland Park ist eine der wenigen Destillerien, die noch einen Teil ihres Malzes selbst produzieren. Gerste wird angefeuchtet und auf den Malzböden ausgebreitet, bis sie nach wenigen Tagen keimt. Dabei wird die Stärke in Malzzucker verwandelt und den braucht man zur Gärung. Damit das Ganze den typischen Geschmack der Highlands bekommt, wird die gekeimte Gerste über dem Torffeuer gedarrt. Der Rauch dringt durch das Malz und gibt ihm den großartigen Geschmack.
kirkwall | highland park distillery

schwarz tropfen die mauern in grün
versumpftes gras die steine atmen tief
den anteil der gefallenen engel die rare
sonne spaniens sickert aus den fässern
hinab zum wütenden abendmeer

von der stadt ziehen souveräne wolken
hügelwärts mischen sich mit den heidetorf
schwaden aus den pagodenkilns stürmisch
schlägt der regen unter den kragen
brennt goldene spuren lodernde feuer

aus: Klaus Bölling, heidetorf [violett]

Der Torf stammt natürlich aus den Mooren von Orkney und hat ein ganz besonderes Aroma, da er hauptsächlich aus dem Heidekraut entsteht. Bäume gibt es nicht auf Orkney, sie haben keine Chance gegen den Sturm, der über die Inseln fegt. Highland Park ist eine der großen Brennereien, die Lagerhäuser reihen sich den Hang hinab. Hier lagern zehntausende Fässer, in denen zuvor spanischer Sherry reifte, für viele Jahre. Dabei verflüchtigt sich ein Teil des Alkohols, the angel's share, der Anteil der Engel an diesem großartigen Produkt. Dieser Anteil der Engel ist es auch, der die porösen Steinwände der Distillery so schwarz einfärbt. Umso heller wird es, wenn der 18jährige Highland Park golden im Glas funkelt.

Kirkwall ist die Hauptstadt von Orkney, eine Hafenstadt mit knapp über 6.000 Einwohnern, schmalen Gassen, kleinen Geschäften und der imposanten St. Magnus Cathedral in der Mitte der Stadt. Kirkwall, die Kirchbucht, hatte schon sehr früh eine Kirche. Die St. Magnus Cathedral wurde 1137 von Graf Rognvald-Kali, dem Neffen des heiligen Magnus gestiftet. Der war ein für diese Gegend seltsamer Heiliger.


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Magnus Erlendsson diente Magnus III. von Norwegen, musste aber fliehen, weil er bei einem Wikingerfeldzug den Kriegsdienst verweigerte. Kriegsdienstverweigerung war zu dieser Zeit nicht unbedingt anerkannt. Von 1105 – 1115 war Magnus Earl von Orkney – gemeinsam mit Håkon Paulsson, seinem Cousin. Das führte natürlich zu Streitigkeiten um die Macht und fast zum Bürgerkrieg. Beide vereinbarten 'Friedenverhandlungen'. Um eine größere Auseinandersetzung zu vermeiden, wollten sie sich mit einer Flotte von jeweils nur zwei Schiffen treffen. Der friedfertige Magnus hielt sich an die Abmachung, Håkon erschien mit acht Schiffen. Magnus musste sich ergeben. Er bot an, ins Exil zu gehen, aber die Chieftains forderten, dass einer der Earls getötet werden muss. Man bevorzugte damals eben eher die handfeste Problemlösung. Selbst der Henker weigerte sich, Magnus hinzurichten. Also musste Håkons Koch ran: Er spaltete  Magnus den Schädel mit einer Axt.

Die große Kirche ist mit ihrem normannisch-romanischen und frühgotischen Stilelementen ein herausragendes Bauwerk in diesen nördlichen Gefilden und hat die Menschen schon immer beeindruckt. Sie trägt den Titel The Light in the North, das Licht des Nordens.

Die Geschichte der Kirche zeigt, das Orkney lange nicht schottisch, sondern skandinavisch geprägt war. Die Urbevölkerung der Inseln waren Pikten, später kamen dann die Nordmänner. Das norwegische Jarltum Orkney umfasste auch Nordschottland (Sutherland und Caithness), Shetland und die Hebriden. Später ging es den Norwegern verloren. Wie so oft aufgrund einer Heirat. Der norwegische König Christian I. konnte 1468 die Mitgift für seine Tochter Margaret, die mit dem schottischen König James III. verheiratet war, nicht bezahlen. Das Jarltum Orkney war der Pfand und damit seit 1468 schottisch. Aber noch heute sind die Beziehungen zwischen Orkney und Norwegen eng. Kirkwall liegt auf einem Breitengrad mit Stavanger in Norwegen.


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