Teil 1

Blair Atholl - Heideberge und ein königinlicher Ausblick

Zunächst endet England. Von Newcastle upon Tyne führt die weniger befahrene Nebenstrecke durch die moorige, im Licht der raren Sonne zwischen den Regenwolken heideviolett leuchtende Landschaft Northumberlands zur englisch-schottischen Grenze südlich von Jedburgh.

Grenze bei JedburghEin Parkplatz auf einer Anhöhe, ein schwerer Stein mit dem Wort Scotland, die Fahne mit dem weißen Andreaskreuz auf blauem Grund, manchmal der obligatorische Schotte mit Rock und Great Highland Pipes: Fàilte gu Alba, Willkommen in Schottland.

Die Region heißt Scottish Borders, gehört zu den Southern Uplands, die sind Teil der Lowlands und das hört sich so viel unspektakulärer an als die Highlands. Ein Landstrich für die Durchreise, durch Jedburgh mit der imposanten Ruine der von den Engländern 1545 zerstörten Jedburgh Abbey nordwärts. Es gäbe viel zu sehen hier und viel zu erzählen, z. B. von Mary Stuart, Mary Queen of Scots, der jungen, streng katholischen Königin in einem inzwischen weitgehend protestantisch reformierten Land, die 1566, ein Jahr vor ihrer Abdankung, in Jedburgh war. Aber das ist Stoff für Tragödien.

My Heart's In The Highlands, mit Robert Burns Lied geht es weiter, vorbei an Edinburgh Richtung Norden. Die Highlands locken, die wilde Landschaft, der raue Whisky. Bei Queensferry wird der Firth of Forth überquert, dann zieht sich die M 90 weiter Richtung Perth. Hier endet die Autobahn und die berühmte A 9 beginnt. The Highway to the Highlands: Jede Menge Trucks und nur selten zweispurig. Hinter Perth erheben sich dann langsam die schottischen Highlands. Es geht hinein in die Grampain Mountains. Die Täler werden enger, die Landschaft spektakulärer. Deshalb bevorzugen die Whiskytrinker die Highland Malts und vernachlässigen die Tropfen aus den Lowlands. Wild soll er sein, spektakulär, bissig.

Wild wie der kleine Bach, der torfbraun durch sein steinernes Bett zwischen den kleinen weißen Häuschen der Edradour Distillery schäumt. Die Brennerei liegt oberhalb des kleinen Ortes Pitlochry, der ein paar nette Geschäfte zum Bummeln bietet, eine Fischtreppe beim Wasserkraftwerk, über die die Lachse aufsteigen und eine weitere, große Distillery. Die ist aber weit weniger interessant als die kleine Edradour Distillery. Die Farmbrennerei wirbt damit, Schottlands kleinste Destillerie zu sein. Ihre Jahresproduktion schaffen andere in einer Woche. Aber dafür ist der Edradour auch einzigartig, kauzig und eigen - eben so, wie die Schotten sich gerne zeigen. So auch der schottenberockte Führer durch die Destillerie, der mit seinen Anekdoten für gute Unterhaltung sorgt. Nebenbei erläutert er, das wahre Kenner nur den unchillfiltered Whisky trinken. Der klar gefilterte sei nur etwas für die Amerikaner, die ohnehin jeden Geschmack durch Mengen von Eis kaputt machten. Was in der Tat eine Sünde ist! Außerdem lernt man hier, dass man vom bierähnlichen Ausgangsprodukt für die Whiskydestillation lieber die Finger (und die Zunge) lassen sollte, da die unweigerlich folgenden Blähungen für lang anhaltende Einsamkeit sorgen. Also lieber die zwölf Jahre warten, bis der fertige Stoff goldgelb aus den alten Sherryfässern in die Flaschen kommt.

 

zur Ansicht auf die kleinen Fotos klicken

Infobox:

 

Nicht weit von Pitlochry liegt der kleine Ort Blair Atholl mit Blair Castle, dem Stammsitz des Murray Clans. Das Oberhaupt trägt den Titel Duke of Atholl. Die Geschichte des Clans wird im Castle bei einem Rundgang durch die vielen Zimmer geschildert. Die umfangreiche Waffensammlung zeigt, dass diese Geschichte typisch ist für die schottischen Clans - also nicht friedlich. Die Atholl Highlanders sind heute die einzige legale Privatarmee Europas, das unterstreicht die Bedeutung des Duke of Atholl. John Murray, der aktuelle, 11th Duke of Atholl, lebt allerdings nicht auf Blair Castle, sondern in Südafrika. Und die Atholl Highlanders fallen nicht durch bewaffnete Scharmützel, sondern durch ihre Pipes and Drums auf.

manchmal reicht das | blair atholl

eine gruppe alter eichen auf der wiese
dahinter hügel gereiht abnehmendes anthrazit
vor dunkel grauem himmel über den schwarze
wolken treiben dann ein sonnenstrahl
woher auch immer paar schafe
die arglos vorwärts grasen

aus: Klaus Bölling, heidetorf [violett]

Einer der Vorfahren, Lord George Murray, Sohn des 1th Duke of Atholl, John Murray, war einer der Köpfe eines der legendärsten – und damit auch tragischsten - Kapitels der schottischen Geschichte. Er führte 1745 die Truppen von Bonnie Prince Charlie beim Jacobiten Aufstand. The Jacobite Rising of 1745 war ein weiterer Versuch, die britische Krone für das schottisch-katholische Haus Stuart zurück zu erobern. Mehrere vorhergehende Versuche, die bei der Glorious Revolution 1689 verlorene Macht zurück zu gewinnen, waren bereits blutig gescheitert.

Damals wurde der Stuart König James II. (oder lateinisch Jakob, daher Jacobites) unblutig gestürzt. Eine Entscheidung zwischen Absolutismus und konstitutioneller Monarchie mit souveränem Parlament, bei der natürlich auch religiöse Fragen eine Rolle spielten. 1745 war es dann Charles Edward Stuart, der im Exil in Rom aufgewachsen war, der in die Schlacht zog. Die britische Armee war in Deutschland und Flandern engagiert, die Situation also günstig. Mit Frankreichs Unterstützung landete der besonders bei den Frauen beliebte Bonnie Prince Charlie im August 1745 in Schottland und zog mit einem Heer verschiedener Clans gegen Edinburgh, eroberte Stadt und Holyrood House und zog weiter nach England hinein. Im Dezember stand die Highlander Armee in Derby nur 150 km von London entfernt, zog sich aber, da der Zulauf englischer Unterstützer geringer als erwartet war, zunächst nach Schottland zurück. Britische Truppen setzen ihnen nach und vernichteten das inzwischen ausgehungerte und schlecht formierte Heer der 5.000 Highlander im April 1746 bei der blutigen Schlacht von Culloden, die zum Massaker an den Highlandern wurde. Bonnie Prince Charlie flüchtete zum Teil in Frauenkleidern über die Isle of Skye zurück nach Frankreich. Auch George Murray rettete sich ins europäische Festlandexil. Die Macht der Schotten war nachhaltig gebrochen. Das Clanswesen wurde vom Feudalismus der Lowlands und Englands verdrängt, die gälische Kultur ging weitgehend unter.


zur Ansicht auf die kleinen Fotos klicken

Infobox:

 

1844 übernachtete Queen Victoria bei einem Besuch der Region in Blair Castle. Die Queen liebte die Highlands. 1866 bereiste sie die Gegend erneut, diesmal nicht offiziell, sondern quasi privat. Dabei machte sie Station am „Queen‘s View“ oberhalb von Loch Tummel. Ein wunderbarer Ausflug hierher führt zunächst ins Tal des River Tay südlich von Blair Castle. Entlang des Tay geht es ins Land von Robert Burns. Der schottische Nationaldichter (1759 – 1796) liebte diesen Landstrich mindestens so sehr wie Queen Victoria. Burns war nicht nur ein unruhiger Geist mit großer Sympathie für die französische Revolution. Er liebte auch die Frauen und die Natur der Highlands. Zahlreiche seiner Lieder sind hier entstanden, wie z.B. die Birks of Aberfeldy, die er so gern mit einem bonnie lassie, einem schönen Mädchen, besuchte.

Der Wasserfall zwischen den Birken ist auch heute ein beliebtes Ausflugsziel, das sicherlich besonders lohnt, wenn man - wie Burns in seinem Lied - mit einem Mädel hierher unterwegs ist. Außer den Birken hat Aberfeldy eine Distillery, die einen milden, guten Highland-Malt produziert. Und die Brücke über den Tay, die 1735 unter General George Wade gebaut wurde. Wade erschloss die Highlands logistisch mit Brücken und Straßen. Es war eine Maßnahme, um den immer wieder aufflackernden Widerstand der Highlander zu brechen. Die Verbindungen zwischen britischen Forts waren nach der Niederlage von Culloden entscheidend für die Sicherung der Macht und die Unterdrückung und Zerschlagung der Highland Clans. Neben der Brücke erinnert eine Denkmal an die Black Watch, ein Regiment loyaler Schotten, das nach dem 1715er Jacobiten Aufstand aus jungen Highlandern aufgestellt wurde und später überall auf der Welt erfolgreich für die britische Armee kämpfte. Für die jungen Soldaten war es eine Chance, der Armut des ländlichen Clanswesens zu entkommen und Karriere zu machen.

Entlang des Tay verläuft die schmale Straße weiter im Tal nach Kenmore am Loch Tay. Kenmore Post Station mit einem kleinen Lebensmittelladen bietet auch Verbindung in die weite Welt des World Wide Web. Hinter der Kasse steht ein Uraltcomputer, davor drei Generationen Ladenbesitzerinnen in Kittelschürze, die aus einem gemeinsamen Topf seltsam Riechendes löffeln. Also besser auf Internet verzichten, den Scotsman kaufen und die kurze Regenpause nutzen, um das Gesicht gierig der plötzlich auftauchenden Sonne entgegenzustrecken. Sonnenbrandgefahr besteht in den wenigen Minuten bis zur nächsten Regenschauer nicht.

Das Sträßchen entlang Loch Tay ist nur einspurig und scheint direkt aus der Zivilisation heraus zu führen. Trotzdem tauchen immer wieder nette kleine Häuschen auf. Ein Schild warnt nicht vor wechselnden Hirschen, sondern vor Eichhörnchen, die die Straße kreuzen könnten. Am Ende von Loch Tay liegt Killin, ein weiterer kleiner Ort mitten in wilder Landschaft. Reißend und torfbraun toben die Falls of Dochart durch das Tal und den Ort. Auf einer kleinen Insel mitten im tosenden Fluss liegt der Friedhof des Clans MacNab. Über die 1760 gebaut Brücke ist die Friedhofsinsel heute mit den Ufern verbunden.


zur Ansicht auf die kleinen Fotos klicken

Infobox:


Der Ausflug geht weiter um Loch Tay herum und hinein in die Berge rund um den Mount Schiehallion. Eine karge Landschaft kahler Hügel und mooriger Täler. Der Regen prasselt hernieder, die Wiesen sind nass aber dann reißen plötzlich die Wolken auf und die Sonne bringt die violette Heide zum Leuchten, die nassen Blätter der wenigen Bäume zum Glitzern. Traumbilder gegen den tiefgrauen Himmel, irgendwo ein Regenbogen, Licht, das unglaublich ist und auch nur für wenige Minuten anhält. Dann zieht die nächste Regenschauer über die Hügel hinüber ins das Tal mit Loch Rannoch und Loch Tummel.

Oberhalb von Loch Tummel führt die Straße entlang des Hangs weiter. Wunderbare Blicke auf den See und die gegenüberliegenden Berge und dann endlich Queen‘s View, ein besonders beeindruckender Aussichtspunkt auf den unten im der Nachmittagssonne funkelnden See. Hier machte Queen Victoria 1866 Station, genoss den Ausblick und wunderte sich in ihren Aufzeichungen, warum der Punkt an sie als Queen erinnert, obwohl sie die Aussichtsterrasse 1844 gar nicht besucht hatte. Ob sie auf die Idee gekommen war, dass der Platz nicht nach ihr, sondern vielleicht nach der legendären Mary Stuart, Queen of Scots benannt ist, die mit Jagdexpeditionen hier war? Oder nach Isabella, der Frau des großen Königs Robert the Bruce (1274 – 1329), wie auf der Tafel am Aussichtspunkt vermutet wird? Egal nach welcher Queen der Blick wirklich benannt ist – er ist auf jeden Fall königinlich.


zur Ansicht auf die kleinen Fotos klicken

Infobox: