Selbstherrlichkeit statt Kompetenz:
Bürgermeister hat Finanzen nicht im Griff

Rede zum Haushalt 2010 (Klaus Bölling, Fraktionsvorsitzender)

Meine Damen und Herren,
dieser Haushalt zeichnet ein düsteres Bild der Realität unserer Stadt. Einer Realität, die bei vielen hier aber scheinbar nicht mehr wahrgenommen wird. Wie stellen wir uns dieser Realität der finanziellen Handlungsunfähigkeit - außer mit einem Haushaltsicherungskonzept, das gesetzliche Notwendigkeit ist, aber angesichts der Fehlbeträge und der Schuldenlast nicht wirklich ernst genommen werden kann?

Unsere Einnahmen sinken rapide, wir haben ein Jahresminus von 4,7 Mio. €, wir haben einen Schuldenstand von 43,7 Mio. €, 3,7 mehr als im Vorjahr. Aber diese Realität wird einfach ausgeblendet, die ständig steigenden Schulden werden schöngeredet mit der Begründung, man schaffe bleibende Werte. Das ist sicherlich teilweise richtig. Aber leider können wir uns vieles Wünschenswerte schlicht nicht mehr leisten. Schauen wir uns nur die beiden letzten Stadtverordnetenversammlungen an: Wir bauen neue Wolkenkuckucksheime, neue potemkinsche Dörfer:

  • Eine neue große Bibliothek, die wissenschaftlichen Standards genügen soll und allein für bibliothekarische Fachkräfte 30.000 € zusätzliche Personalkosten im Jahr verursacht? Wir haben eine funktionierende Stadtbibliothek und wissen gerade nicht, wie wir die Kindergärten finanzieren sollen. Das ist die Realität.
  • Ein Ernährungszentrum in Mühlhausen, das vor allem aus Konjunktiven besteht? Es könnte von folgenden Institutionen genutzt werden, es müsste einen Trägerverein geben, es könnten folgende Flächen einbezogen werden. Selbst wenn einige dieser Konjunktive tatsächlich wahr würden - könnte es dann auch finanziell tragbar sein? Fördergelder sind eine prima Sache, haben aber meist den Nachteil des Eigenanteils. Wir haben keine verfügbaren Eigenanteile mehr, das ist die Realität.
  • Nach den gescheiterten Spinnereinen Marktplatz Ost - erst groß, dann klein, dann gar nicht - samt verschleuderter Kohle für ein nicht realisierbares Parkhausprojekt, wenden wir uns nun dem Marktplatz Nord zu. Und was ist dort das Konzept? In der letzten Sitzung wurde zunächst mal recht einfallslos vorgestellt, dass wir dort jede Menge Objekte haben, in denen sich wunderbare Espressobars einrichten lassen. Nun haben wir aber schon ein Eiscafé am Marktplatz, die Espressoversorgung ist also weitgehend gesichert. Und das Haus Wicke, eilig gekauft vor dem Hessentag, unverzichtbar als Ausstellungsort beim Hessentag, unverzichtbar für die Realisierung der Außengastronomie auf dem Marktplatz? Es gammelt vor sich hin und realistische Kosteneinschätzungen lassen weiter auf sich warten.

Meine Damen und Herren, die Hasardeure mit ihrer blühenden Phantasie werden die finanzielle Lage der Stadt niemals in den Griff bekommen, dazu brauchen wir Realisten. Realisten, die ihr Geschäft verstehen und nicht Leute, die vor lauter Vereinsmauschelei und Schlampigkeit mal eben eine Krankenpflegestation versemmeln, Skaterbahnen ohne Bauantrag bauen und für viel Geld unlesbare Parkleitsysteme installieren. Übersicht, Kompetenz, Realitätssinn, das wären die heute gefragten Eigenschaften und nicht napoleonische Selbstherrlichkeit und Selbstüberschätzung.

Neulich wurde im hessischen Fernsehen angesichts der Warnungen des Steuerzahlerbundes vor astronomischen Hessentagskosten ein Statement unseres Bürgermeisters auf der damaligen Marktplatzbaustelle wiederholt, in dem viel von Nachhaltigkeit und langfristigem Nutzen die Rede war. Wo ist die Nachhaltigkeit dieses noch immer nicht endabgerechneten Events? Wie hoch waren die wirklich ehrlichen - nicht die schön gerechneten - Kosten?

Wo ist die Nachhaltigkeit bei der Belebung der Innenstadt, wo beim Engagement der Menschen für diese Stadt? Was ist aus den Chancen der Konversionsflächen der Bundeswehr geworden - außer kryptischen Andeutungen über Investoren, die bereit stünden, über die man aber nix sagen kann, bis man endgültig auch nix mehr zu sagen hat? Was ist mit der wirtschaftlichen Belebung?

Ein paar schlecht bezahlte Logistikarbeitsplätze werden um ein paar hundert Meter verlegt, mehr LKW bringen Lärm für die Stadt, obwohl genau deshalb das gemeinsame Gewerbegebiet direkt an der Autobahn mit viel Geld hergerichtet wird. Überhaupt - die Logistik als Chance für Homberg? Logistik, das sind doch vor allem Niedriglöhne und miese Arbeitgeber wie die Bettenwelt, die die Niedriglöhne noch unterbieten wollen, die - statt der einst großspurig angekündigten sicheren Arbeitsplätze - Leiharbeiter ausbeuten. Wirtschaftlich voran bringt uns das auf Dauer nicht.

43,7 Mio. € Schulden, das ist eine schwer begreifbare Zahl. Sowohl hier im Parlament als auch bei den Bürgerinnen und Bürgern ist immer wieder ein Schulterzucken festzustellen, eine Gleichgültigkeit nach dem Motto: Ok, heute hat doch jeder Schulden, was soll's, wenn für das Geld gute Sachen gemacht werden. Leider ist das nur ein Teil der Wahrheit. Schulden sind natürlich eine Belastung für die Zukunft - aber auch das kann man ja noch ignorieren, Hauptsache heute geht's voran.

Aber es geht nicht voran, denn Schulden haben die unangenehme Eigenschaft, dass sie abgezahlt werden müssen und das Zinsen fällig werden. Und dafür gehen in jedem Jahr genau die Mittel drauf, die wir bräuchten, damit es wirklich vorwärts geht in Homberg. Aber wir können ja schon den Status Quo nur mit zusätzlichen Krediten finanzieren. Wir zahlen 1,87 Mio. € Zinsen, 958.000 € Tilgung. Macht 2,8 Mio. € Schuldendienst. Das ist über 1 Mio. € mehr als noch vor 10 Jahren, als der Schuldenstand bei 15 Mio. € lag und sogar kurzzeitig rückläufig war. Heute haben wir weiterhin einen rasanten Anstieg, die Ausgaben für den Schuldendienst werden weiter steigen und der Handlungsspielraum für die Stadt noch wesentlich enger. Das widerspricht all den Aussagen über Nachhaltigkeit und Investitionen für die Zukunft. Das Gleichgewicht stimmt einfach nicht mehr, weil wir in der Zukunft nicht investieren können, sondern Schuldendienst leisten müssen.

Meine Damen und Herren, auch dieser Haushalt entspricht - wie schon der im letzten Jahr und wie auch der Nachtragshaushalt - nicht den Prinzipien der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit. Da wird uns im Stellenplan im Bereich Öffentlichkeitsarbeit eine Stelle mit der Eingruppierung EG 3 untergejubelt. EG 3 - das sind einfache Schreibarbeiten, aber keine Pressearbeit, keine Homepagekonzeption, keine Homepagepflege, keine Kontakte zu Geschäftsleuten und Veranstaltern. Mauschelei statt Haushaltswahrheit - das macht die ganze Sache hier so unerträglich. Es zeigt aber auch, dass überhaupt kein Wille vorhanden ist, auf Kritik einzugehen, Offenheit zu schaffen. Die Koalition der Hoffnungslosen stapft munter weiter in den Sumpf und will uns das Ganze als sicheren Weg verkaufen.

Trotz Schuldenlage werden auch weiterhin Grundstücke gekauft. Immerhin 255.000 € sind dafür vorgesehen. Angaben zur Refinanzierung können nicht gemacht werden. Scheinbar werden auch entlang der Efze Grundstücke und Wiesen gekauft, um mit viel Aufwand und Kosten mit schwerem Arbeitsgerät Natur zu renaturieren. Das soll Ökopunkte bringen, um an anderer Stelle Flächen versiegeln zu können. Vor allem verschleudern wir aber auch hier weitgehend sinnlos Geld, das wir nicht haben.

Jedes zweite Wort lautet nun 'Wirtschaftskrise'. Gut, dass es sie gibt, sonst hätten wir gar keine Ausrede mehr für diesen Haushalt. Aber mal ehrlich - auch ohne Wirtschaftskrise wäre es doch nicht gelungen, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, auch in den nächsten Jahren nicht. Nun gibt es wenigstens eine Ausrede dafür, dieses Ziel weiter in die Ferne verschieben zu können.

Ehrlich gesagt, gibt es derzeit auch gar keine Möglichkeit, die kommunalen Finanzen in den Griff zu bekommen. Die Steuereinnahmen, die bei den Kommunen ankommen, reichen schlicht nicht mal aus, um die Pflichtaufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. Das hat auch etwas damit zu tun, das einfach zu wenig Geld übrig bleibt, wenn Herr Ripke mit seiner Partei Hoteliers und andere Großspender steuerlich befriedigt hat und alle Parteifreunde in der ministerialen Verwaltung untergebracht sind. Machen wir halt Schulden, was soll's, schließlich ist Krise.

Nein, auch mit einem guten Bürgermeister würden wir unsere Finanzen zur Zeit nicht in den Griff bekommen - aber vielleicht hätte mit etwas mehr Kompetenz die ausufernde Schuldenmacherei zumindest eine Grenze. Mehr Realität statt Wolkenkuckucksheim, mehr Ehrlichkeit statt Schönrederei und Vertuschung, mehr Offenheit statt Hintertürmauschelei, mehr Kompetenz statt Selbstherrlichkeit - das wäre ein kleiner Lichtblick. Leider bleibt es hier weiterhin dunkel.